Was tun, wenn sich das Finanzamt um 1 Million Euro verrechnet?
Freude, Schreck oder ein suchender Blick nach der versteckten Kamera? Wahrscheinlich mischen sich all diese Reaktionen, wenn man seinen Einkommensteuerbescheid liest und dort nicht 500.000 Euro Gewinn ausgewiesen sind, sondern fälschlicherweise 500.000 Euro Verlust. Doch was tun? - Schweigen und Hoffen oder sofort das Finanzamt anrufen? Dürfen Steuerzahler im Glück das Geld vom Staat sogar behalten?
Das Finanzgericht Sachsen-Anhalt entschied jetzt, dass es sich nicht um Steuerhinterziehung handelt, wenn Steuerpflichtige ihr Finanzamt nicht auf dessen Fehler hinweisen (Aktenzeichen: 5 K 531/06). Im Urteilsfall hatte ein selbstständiger Arzt in seiner Steuererklärung für das Jahr 1999 ordnungsgemäß einen Gewinn von umgerechnet rund 500.000 Euro angegeben. Durch einen Vorzeichenfehler machte sein Finanzamt die positiven Einkünfte zu Verlusten in gleicher Höhe. Es setzte die Steuer für 1999 sowie die laufenden Vorauszahlungen auf Null und erließ entsprechend falsche Steuerbescheide. Der Arzt wies sein Finanzamt erst darauf hin, als es Jahre später eine Betriebsprüfung anordnete.
Nachtrag: Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Ansicht des Finanzgerichts bestätigt und den Steuerzahler vom Vorwurf der Steuerhinterziehung entlastet, wie jetzt bekannt wurde (Urteil vom 4. Dezember 2012, Aktenzeichen: VIII R 50/10). Diese BFH-Entscheidung bekräftigt die Erklärungen und Tipps dieses Artikels, der in seiner ursprünglichen Fassung am 10, November 2010 erschienen war.
Der Kläger wollte als Steuerhinterzieher gelten
In der Regel haben die deutschen Finanzämter gar kein Problem damit, wenn einer ihrer "Kunden" einen offensichtlichen Fehler nicht meldet. Sie berichtigen einfach den Bescheid, setzen darin seinen persönlichen Steuersatz an und fordern die Steuer nach. Im Fall des Arztes wären das bei 53 Prozent Spitzensteuersatz rund 265.000 Euro Steuern gewesen (plus Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer).
Kurioserweise war es der Arzt selbst, der vor Gericht auf Steuerhinterziehung pochte. Sein Trick: Er wollte eine so genannte strafbefreiende Erklärung abgeben. Hierdurch war es im Jahr 2004 möglich, seine Steuersünden zu beichten und den hinterzogenen Betrag mit pauschal 25 Prozent zu versteuern. Es wären nur 125.000 Euro fällig gewesen (ebenfalls zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer). Der Arzt hätte 140.000 Euro Steuern gespart.
Das Finanzgericht Sachsen-Anhalt lehnte diesen Trick ab: Steuerzahler sind nach Paragraf 153 Abgabenordnung (AO) nicht dazu verpflichtet, auf Fehler des Finanzamts aufmerksam zu machen. Aus diesem Grund sei der fehlende Hinweis auf den Vorzeichenfehler nach Paragraf 370 Absatz 1 Nummer 2 AO nicht strafbar, eine strafbefreiende Erklärung sei somit nicht möglich. Voraussetzung ist, dass die Einkommensteuererklärung vollständig und zutreffend war. Der Arzt legte Einspruch gegen das Urteil ein, sodass der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt das letzte Wort hat (Aktenzeichen: VIII B 41/10).
Was das Urteil bedeutet und was es nicht bedeutet
Das aktuelle FG-Urteil stützt die steuerzahlerfreundliche gängige Auffassung der Finanzverwaltung. Abweichenden Finanzämtern wird es schwerer fallen, auf Steuerhinterziehung zu pochen. Ein solcher Versuch wäre vor allem dann denkbar gewesen, wenn die Frist zum Berichtigen eines Fehlers abgelaufen ist und der Steuerzahler nur über die zehnjährige Verjährungsfrist für Steuerhinterziehung greifbar wäre.
Welchen Nutzen Ihnen die FG-Entscheidung konkret bringt:
- Sie sind nicht verpflichtet, Ihr Finanzamt auf seine Fehler hinzuweisen. Ihre Mitwirkungspflicht endet damit, eine vollständige und zutreffende Steuererklärung abzugeben.
- Sie machen sich also nicht wegen Steuerhinterziehung oder Steuerverkürzung strafbar, wenn Sie bei einem Fehler des Finanzamts schweigen.
- Bis Sie die Steuer nachgezahlt haben, besitzen Sie Geld zum Anlegen. Ob daraus ein Vorteil entsteht, hängt davon ab, wie gut Sie investieren: Der Fiskus lässt sich den Steuerbetrag trotz seines eigenen Fehlers verzinsen (Paragraf 233 a Abgabenordnung). Pro Monat sind 0,5 Prozent Zinsen fällig, beginnend mit dem 16. Monat nach Ablauf des Steuerjahrs. Ihre verzögerte Steuernachzahlung entspricht also einem günstigen Kredit vom Staat zu jährlich 6 Prozent Zinsen.
- Wenn der Fehler unabänderlich wird, dürfen Sie den Steuervorteil behalten.
Wann der Fehler endgültig wird
Wenn die Beamten ihren Fehler rechtzeitig bemerken, müssen Sie das Geld zurückzahlen.
- Die Frist beträgt vier volle Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem Sie Ihre Steuererklärung abgegeben haben.
- Die vierjährige Frist wird in ihrem Ablauf gehemmt, wenn das Finanzamt eine Außenprüfung angeordnet hat (Paragraf 171 Absatz 4 AO). Solange die Betriebsprüfung läuft, kann das Finanzamt den Bescheid ändern.
Beispiel: Sie haben Ihre Steuererklärung für das Jahr 2009 im Frühjahr 2010 abgegeben - vollständig und ohne zu schummeln. Im Steuerbescheid sehen Sie, dass sich das Finanzamt verrechnet hat und 2.500 Euro zu wenig haben will. Sie freuen sich, packen das Schreiben weg und erklären den Fehler zu einem Geheimnis zwischen Ihnen und Ihrem Steuerbescheid. Sie rechnen:
- Abgabe der Steuererklärung im Jahr 2010: Dieses Jahr zählt bis zum Ende.
- Danach hat das Finanzamt 4 volle Jahre Zeit, also 2011 bis 2014.
- Ab dem 1. Januar 2015 dürfen Sie den Fehler und den Steuervorteil behalten.
Steuerfalle: Verlustvortrag wäre Steuerhinterziehung
Achtung! Hat Ihr Finanzamt Ihnen fälschlicherweise einen Verlust ausgewiesen? Dann verrechnen Sie ihn in den folgenden Jahren nicht mit Gewinnen. Sie riskierten dadurch, dass der Sachbearbeiter den alten Fehler entdeckt und berichtigt. Zudem könnte es sich bei der Verlustverrechnung um Steuerhinterziehung handeln, da Sie aktiv werden und den Fehler ausnutzen. Fazit: Schweigen statt übertreiben.
Steuer-Tipp: Besprechen Sie sich mit Ihrem Steuerberater, wenn das Finanzamt einen Fehler zu Ihrem Vorteil macht. Nur ein Fachmann kann Ihren persönlichen Fall einschätzen, genaue Fristen nennen und einen höchstmöglichen finanziellen Vorteil herausholen.
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