Steuermoral Teil II: Vertrauen schafft höhere Steuereinnahmen
Liebe Leserin, lieber Leser,
wie lässt sich die Steuermoral erhöhen? Mit dieser Frage im Raum habe ich mich in der vergangenen Ausgabe meines Steuer-Newsletters von Ihnen verabschiedet. Heute kommt die versprochene Auflösung.
Zuvor eine kurze Zusammenfassung, wie Wirtschaftswissenschaftler entdeckt haben, dass es den Faktor "Steuermoral" überhaupt gibt: Anhand von Formeln errechneten sie, wie viele Menschen in verschiedenen Ländern der Erwartung nach Steuern hinterziehen müssten. In die Formel flossen unter anderem das Entdeckungsrisiko und die angedrohte Strafe für Steuerhinterziehung ein. Das Ergebnis: Laut theoretischer Formel hätten in den untersuchten Jahren deutlich mehr Menschen Steuern hinterziehen müssen, als es tatsächlich der Fall war.
Weitere Forschungen ließen den Schluss zu, dass der Faktor "Steuermoral" in uns verwurzelt ist. So abstrakt der Zusammenhang zwischen einbehaltener Lohnsteuer und Staatsausgaben in der heutigen Zeit auch sein mag: Die Steuerzahler scheinen ihn zu sehen. Auf der einen Seite poltern sie: "Die da oben machen, was sie wollen!" oder "Da blickt eh keiner mehr durch, wofür die Politiker unser Geld rauswerfen!" Doch auf der anderen Seite erkennen sie, dass es kaum Schlaglöcher auf deutschen Autobahnen gibt und dass die Straßen nachts beleuchtet sind. Sie bekommen etwas zurück für ihr Geld und deshalb sind sie bereit zu zahlen. Sogar Unternehmen: Bei vielen Selbstständigen geht die Unterstützung so weit, dass sie eben keine Betriebe Steuern sparend ins Ausland verlagern, sondern öffentlichkeitswirksam den Standort Deutschland loben.
Welche Gesichtpunkte beeinflussen die Steuermoral, abgesehen von der oben erwähnten indirekten Gegenleistung? Wissenschaftler haben die Wirkung von Steuerprüfungen untersucht - mit erstaunlichen Ergebnissen. Nach gängigen Theorien und dem gesunden Menschenverstand sollten weniger Steuern hinterzogen werden, wenn mehr kontrolliert wird. Schließlich steigt das Risiko, entdeckt zu werden. Doch ein solcher Effekt ließ sich nur selten nachweisen. Oft war genau das Gegenteil der Fall: Mehr Kontrolle führte zu mehr Hinterziehung.
Dafür gibt es verschiedene Erklärungen: Ehrliche Steuerzahler halten eine Steuerprüfung oft für ein Zeichen, dass ihnen der Staat misstraut. Darauf antworten sie mit Trotz. Wer hingegen wirklich hinterzogen hat, aufgefallen ist und dafür bestraft wurde, versucht, sich dieses Geld in den nächsten Jahren wieder zurückzuholen. Steuerstatistiken zeigen, dass im Jahr nach einer Steuerprüfung weniger Einkommen ausgewiesen wird. Offenbar halten es die Steuerpflichtigen für unwahrscheinlich, im nächsten Jahr wieder geprüft zu werden.
In einer Studie aus dem Jahr 2002 wiesen Bruno S. Frey von der Universität Zürich und Lars P. Feld von der Universität Heidelberg nach, dass die Steuermoral umso besser ist, je respektvoller und nachsichtiger die Verwaltung den Steuerzahler behandelt. In Schweizer Kantonen, in denen zum Beispiel ein Fehler in der Steuererklärung nicht sofort als Betrugsversuch angesehen wird, werden vergleichsweise weniger Steuern hinterzogen. Oft sind das Kantone mit direkter Demokratie in Finanzfragen. Bei ihnen liegt die Steuerhinterziehung bis zu drei Zehntel niedriger als in anderen Kantonen.
Die Schweizer machen also vor, wie sie durch weniger Steuerprüfungen und ein entgegenkommendes Verhalten das Hinterziehen von Steuern um rund ein Drittel senken. Um eine solche Wirkung mit Steuerprüfungen zu erzielen, müsste man ihre Häufigkeit verdreifachen. Mit den entsprechend höheren Kosten und den schädlichen Folgen fürs Steuergemüt und die Steuermoral der Kontrollierten.
Genau diesen Weg von Kontrolle, Überwachung und höheren Strafen geht übrigens der deutsche Staat. So verjähren beispielsweise Steuerstraftaten weniger schnell, bisher nach 5 Jahren, ab 2009 nach 10 Jahren. Die deutschen Steuerfahnder waren in den vergangenen zehn Jahren ausgesprochen fleißig: Von 1997 bis 2007 schlossen sie 54,9 Prozent mehr Fälle ab und nahmen 59,7 Prozent mehr Steuern ein, wie das Bundesfinanzministerium (BMF) in seinem Monatsbericht August 2008 bekannt gab. Demnach ermittelte die Steuerfahndung allein im Jahr 2007 in 36.309 Fällen, setzte 1,6 Milliarden Euro Mehrsteuern fest und die Justiz verhängte auf Grund dieser Ermittlungen stattliche 1.794 Jahre Freiheitsstrafen.
Betrachtet man diese Zahlen, könnte man glatt glauben, Deutschland sei ein Volk der Steuerhinterzieher. Dass dem nicht so ist, belegt die ausgeprägte Steuermoral. Noch. Denn je mehr der Staat auf ausgiebige Kontrolle und höhere Strafen setzt, desto stärker kriminalisiert er seine Steuerbürger und erstickt den Willen zur Steuerehrlichkeit. Während uns unsere Schweizer Freunde mal wieder ein paar Schritte voraus sind, hinken wir nicht einfach nur hinterher - wir gehen in die falsche Richtung!
Ob unsere Politiker noch rechtzeitig umdenken? Meine Hoffnung und mein Vertrauen schwinden. Ich wünsche Ihnen einen nicht allzu düsteren Wochenbeginn. Herzlichst, Ihr
Lutz Schumann
Herausgeber und Chefredakteur
P. S.: In den oben genannten BMF-Zahlen sind noch nicht die Verfahren und Selbstanzeigen enthalten, die sich im Zusammenhang mit der Liechtenstein-Affäre im Februar 2008 ergeben haben. Mir schwant Übles...