Staat sieht alle Steuerzahler als Steuerbetrüger

vom 30. August 2007 (aktualisiert am 17. September 2017)
Von: Lutz Schumann

Liebe Leserin, lieber Leser,

Anfang August hat das Bundeskabinett dem Jahressteuergesetzes 2008 zugestimmt, welches bis November 2007 vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden und ab 2008 in Kraft treten soll. Das Besondere: Der berühmt-berüchtigten Paragraf 42 Abgabenordnung (AO) soll geändert werden. Dieser Paragraf befasst sich mit dem so genannten Gestaltungsmissbrauch, offiziell "Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten".

Laut Rechtsprechung ist eine Gestaltung missbräuchlich, wenn sie "überhaupt keinem wirtschaftlichen Zweck" dient oder wenn sie "der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist".

Wegen seiner Schwammigkeit war dieser Paragraf schon immer bei Steuerberatern, Erfindern von Gestaltungsmodellen und letztendlich natürlich bei Steuerzahlern gefürchtet. Einziger Lichtschimmer: Bislang muss die Finanzverwaltung beweisen, ob eine missbräuchliche Gestaltung vorliegt. Der Betroffene muss nur bei der Aufklärung mitwirken.

Das jedoch soll ab 2008 anders werden. Die Neufassung des § 42 AO sieht vor, dass beim Vorliegen einer ungewöhnlichen steuerlichen Gestaltung der Betroffene beweisen muss, dass es nicht nur um eine Steuerersparnis geht, sondern dass handfeste wirtschaftliche oder andere Gründe den Ausschlag für das Modell gaben.

Konkret bedeutet dies: Sie wählen eine "ungewöhnliche Gestaltung", Ihr Finanzamt mutmaßt einen Missbrauch und Sie haben nun den Schwarzen Peter und müssen den Beamten Ihre wirtschaftliche Absicht nachweisen.

Was halten die Finanzbeamten und Finanzrichter für "ungewöhnlich"? In vielen Fällen mehr, als gerechtfertigt ist – zumindest wenn man Jahre später zurückblickt. Das bedeutendste Beispiel: Der 1918 gegründete Reichsfinanzhof, Vorgänger des Bundesfinanzhofs, sah die heute etablierte Rechtsform der GmbH & Co. KG als ungewöhnlich an. Zugegeben – das ist schon viele Jahrzehnte her. Doch wer garantiert, dass die Finanzbeamten heute nicht genauso kurzsichtig sind wie damals!?

Meiner Meinung nach macht es sich unser Gesetzgeber mal wieder ziemlich einfach. Doch was noch viel schlimmer ist: Unsere Politiker stellen uns durch die umgekehrte Beweislast allesamt unter Generalverdacht. Getreu dem Motto: Wenn sich Steuerzahler oder Berater etwas ausdenken, kann es doch nur darum gehen, den Staat zu betrügen. Bei einem derartigen Misstrauen verwundert es nicht, wenn das Volk reagiert: mit Politikverdrossenheit, Steuer-, Kapitalflucht und Auswanderung.

Zwar ist es bis zur abschließenden Beratung im Bundesrat (geplant am 30. November 2007) noch ein langer Weg, der von parteipolitischen Zielen geprägt sein wird und sicherlich noch die eine oder andere Korrektur der geplanten Gesetzesänderung mit sich bringt.

Doch bin ich mir schon heute sicher: Schwerwiegend ändern wird der Gesetzgeber nichts. Denn er will die Finanzbehörden weiter stärken. Was taugt dazu mehr als ein neuer § 42 AO, mit dem sie gegen Steuergestaltungen in jeder Form vorgehen kann?

Ich wünsche Ihnen noch eine erfolgreiche Woche und ein erholsames Wochenende, Ihr

Lutz Schumann

Lutz Schumann
Chefredakteur