Sind Sie ein Kirchensteuerhinterzieher?
Liebe Leserin, lieber Leser,
seit 2009 gibt es in Deutschland nun schon die Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte. Jedoch erst 6 Jahre nach der Einführung, ab 2015, führt die Bundesregierung den automatisierten Kirchensteuerabzug ein. Warum ich Ihnen das erzähle? Weil Sie vielleicht bislang Steuern hinterzogen haben.
Zunächst zum Hintergrund: Die 25-prozentige Abgeltungsteuer auf alle Kapitalerträge, also auf Zinsen, Beteiligungen in Form von Aktien, GmbH-Anteilen, Genussscheinen, aber auch auf Investmentfonds sowie auf Termin- und Optionsgeschäfte ist eine unbürokratische und steuerlich günstige Angelegenheit. Denn alle Einnahmen aus Kapitalanlagen werden mit 25 Prozent pauschal versteuert. Das Beste daran: Das macht direkt die Bank, der Broker oder die Anlagegesellschaft, anonym ohne Nennung von Namen.
Vor 2009 mussten Kapitalanleger jeden Euro ihrer Kapitaleinkünfte in ihrer Steuererklärung auf zusätzlichen Formularen penibel auflisten. Das Finanzamt besteuerte diese Einkünfte mit dem persönlichen Steuersatz. Im Höchstfall waren das 42 Prozent plus 5,5 Prozent Solidaritätszuschlag plus 8 oder 9 Prozent Kirchensteuer, je nach Bundesland.
Die Bank weiß nichts von Religion
Unterm Strich ist die Abgeltungsteuer also für die meisten Anleger eine wirkliche Erleichterung. Doch auch bei diesem Gesetz wurde geschlampt: Die Verantwortlichen vergaßen die Kirchensteuer, die jedes Kirchenmitglied zahlen muss. Das Problem: Wie sollen die Banken die Steuer einbehalten, wenn sie gar nicht wissen, ob ihre Kunden einer Kirche angehören?
Aus diesem Grund mussten alle Steuerzahler bei Einführung der Abgeltungsteuer einen schriftlichen Antrag auf Einbehalt von Kirchensteuer bei ihrer Bank stellen und darin ihre Religionszugehörigkeit angeben. Die Bank führte die einbehaltene Kirchensteuer dann je nach Religionszugehörigkeiten ab. Alternativ dazu konnten Kapitalanleger in ihrer Einkommensteuererklärung die nicht einbehaltene Kirchensteuer nachträglich angeben.
Wer diesen Antrag nicht gestellt, aber in den Jahren von 2009 bis 2014 Kapitaleinkünfte erzielt hat, ist nach dem Gesetz ein Steuerhinterzieher.
Kein Finanzbeamter wacht für 7,21 Euro auf
Bevor Sie jetzt einen Herzinfarkt bekommen oder sich schon in einer Gefängniszelle neben Uli Hoeneß sehen: Keine Sorge, Sie sind nicht allein. Viele Steuerzahler wussten nichts von dieser Pflicht oder haben den Antrag schlichtweg "vergessen".
Zudem geht es meist um so geringe Beträge, dass sich keine Bestrafung lohnt: Bei einer Anlagesumme von 25.000 Euro und den derzeit mickrigen Zinssätzen (1,31 Prozent auf Tagesgeld, Stand Juni 2014) summiert sich die pauschale Kirchensteuer auf gerade einmal 7,21 Euro im Jahr. Für so wenig Geld wird nicht einmal das Finanzamt aktiv.
Automatischer Kirchensteuerabzug ab 2015
Ab 2015 jedoch ändert sich das Verfahren durch den automatisierten Kirchensteuerabzug bei der Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte. Dann erfahren alle Banken beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), ob für Anleger eine Kirchensteuerpflicht besteht. Wie diese Abfrage genau funktioniert und wie das Formular zum Widerspruch aussieht, ist ganz gut auf Tagesgeld.de zusammengestellt.
Bevor eine Bank oder eine andere Anlagegesellschaft eine Abfrage an das BZSt startet, muss der Betroffene darüber informiert und auf sein Widerspruchsrecht hingewiesen werden. Er kann dann beim BZSt der Übermittlung von Daten zur Religionszugehörigkeit widersprechen. Dann allerdings muss er bei seiner Steuererklärung wieder die "Anlage KAP" zur Festsetzung der Kirchensteuer abgeben.
Das gleiche "freiwillige" Spielchen wie oben beschrieben? Nein, diesmal haben die Verantwortlichen mitgedacht: Das Bundeszentralamt übermittelt den Widerspruch in Form eines Sperrvermerks automatisch ans Finanzamt. Der Sachbearbeiter muss also nur noch prüfen, ob die "Anlage KAP" der Steuererklärung beiliegt, und Kirchensteuer eintreiben.
Mein Tipp für kirchlich organisierte Spekulanten und Kapitalisten: Verzichten Sie auf einen Widerspruch beim BZSt. Sonst erhöhen Sie Ihren Aufwand, der durch die pauschale Abgeltungsteuer eigentlich sinken sollte.
Mit mildtätigen Grüßen, Ihr
Lutz Schumann
Chefredakteur und Herausgeber