In dubio pro reo - aber nicht bei der Umsatzsteuer
Liebe Leserin, lieber Leser,
"in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten) - dieser Grundsatz findet sich zwar nicht in deutschen Gesetzen, genießt aber dennoch in Deutschland Verfassungsrang. Nicht der Angeklagte muss seine Unschuld beweisen, sondern das Gericht muss ihm seine Schuld nachweisen. Haben die Richter begründete Zweifel an der Schuld, müssen sie den Angeklagten freisprechen.
Doch dieser Grundsatz gilt nicht im Umsatzsteuerrecht. Das zeigt ein jetzt bekannt gewordenes Urteil des Finanzgerichts Sachsen-Anhalt (FG-Urteil vom 20. Februar 2013, Aktenzeichen: 2 K 1037/10): Ein GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer hatte sämtliche Buchhaltungsunterlagen sowie den Buchführungs-PC seiner Firma wegen Umzugs in einem Kleinlaster zwischengelagert. Das Fahrzeug wurde eines Nachts samt Rechnungen und Computer gestohlen und ward nie wieder gesehen.
Finanzamt nur zur Hälfte gnädig
Dass der Laster wenige Tage vor einer anberaumten Betriebsprüfung vom Firmengelände verschwand, kann man merkwürdig finden oder auch nicht. Dem betroffenen Unternehmer konnte niemand etwas nachweisen.
Dennoch kam es für ihn knüppeldick: Er musste ans Finanzamt fast die Hälfte der Vorsteuer zurückzahlen, die seine Firma aus allen Eingangsrechnungen gezogen hatte. Die andere Hälfte wurde ihm gnädigerweise vom Finanzamt erlassen, nachdem er Lieferantenbescheinigungen und Zeugen als Nachweise für die Existenz der gestohlenen Rechnungen vorwies. Dennoch kam ein mittlerer sechsstelliger Betrag als Vorsteuer-Rückzahlung an den Fiskus zusammen.
"In dubio pro reo" - Pustekuchen. Zu mehr war der Fiskus nicht bereit und bekam sogar vor dem Finanzgericht Recht. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO) dürfen die Finanzbehörden die Besteuerungsgrundlagen insbesondere dann schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann. Auf ein Verschulden kommt es nicht an. Das letzte Wort hat jetzt der Bundesfinanzhof (Aktenzeichen: V R 23/13).
Rechnungsdiebstahl hat Methode - nützt aber nichts
Ich denke nicht, dass die obersten deutschen Finanzrichter den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" anwenden werden. Denn bei Steuern hören die Freundschaft und erst recht juristische Grundsätze auf.
Die Praxis könnte den Finanzrichter sogar Recht geben. Immerhin berichten viele Steuerberater, dass der berüchtigte Rechnungsdieb nicht zum ersten Mal zugeschlagen hat. Buchführungsbelege werden am häufigsten dann gestohlen oder durch einen Rohrbruch oder ein Feuer vernichtet, wenn eine Betriebsprüfung ansteht.
Hoffentlich bleiben Sie vom ominösen Rechnungsdieb verschont - oder vielleicht besser doch nicht?
Herzlichst, Ihr
Lutz Schumann
Herausgeber und Chefredakteur