Gemeinde streitet gegen Gewerbesteuer

vom 13. Oktober 2007 (aktualisiert am 17. September 2017)
Von: Lutz Schumann

Liebe Leserin, lieber Leser,

Steuer-Deutschland steht Kopf: Während normalerweise Menschen und Firmen vor Gericht dagegen klagen, Steuern zahlen zu müssen, kämpft jetzt eine kleine Gemeinde vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen, Steuern verlangen zu müssen. Frischer Wind im alten Streit um die Gewerbesteuer.

Die Gewerbesteuer gibt es seit 1936 und ist eine der umstrittensten deutschen Steuern. Im Ausland kennt man sie in vergleichbarer Form nicht. Viele Experten halten sie schlichtweg für verfassungswidrig. Der Grund: Nur Gewerbebetriebe müssen sie bezahlen. Freie Berufe jedoch nicht, wie zum Beispiel Ärzte oder Rechtsanwälte. Bundesfinanzhof (BFH) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatten bisher keine Bedenken wegen dieser Ungleichbehandlung.

Anders das Niedersächsische Finanzgericht (FG), das zum dritten Mal eine Vorlage an das Verfassungsgericht startete. Auf 60 Seiten begründete das FG, warum die Gewerbesteuer gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes verstoße.

Das Besondere an der Gewerbesteuer: Die deutschen Städte und Gemeinden können die Höhe der Einnahmen durch den so genannten Hebesatz selbst bestimmen. Der durchschnittliche Hebesatz in den größten deutschen Gemeinden liegt derzeit bei 432 Prozent. Rekordhalter unter den Kommunen mit mehr als 50.000 Einwohnern sind München und Bottrop mit Hebesätzen von 490 Prozent. Die geringsten Sätze liegen bei 200 Prozent.

In die Schlagzeilen geriet die Gewerbesteuer Ende der 90er Jahre, nachdem mehrere Gemeinden in Deutschland einen Null-Hebesatz und damit de facto die Gewerbesteuerfreiheit eingeführt hatten.

Als deutsche Gewerbesteueroase bekannt geworden ist vor allem die nordfriesische 35-Seelen-Gemeinde Norderfriedrichskoog an der Westküste Schleswig-Holsteins zwischen Husum und Sankt Peter-Ording. Der Hebesatz von null Prozent lockte viele Unternehmen an, die keine Infrastruktur benötigten, weil sie nur die gewinnträchtigen Teile hinter den Deich auslagerten. Bis Ende 2003 war in Norderfriedrichskoog unter 13 Reetdächern alles vertreten, was in der deutschen Wirtschaft Rang und Namen hatte.

Steuerausfälle in Milliardenhöhe zwangen die Politiker zum Handeln. Immerhin stehen die Gewerbesteuereinnahmen bundesweit an vierter Stelle der Steuer-Hitparade. So entstand die "Lex Norderfriedrichskoog", eine Vorschrift im Gewerbesteuergesetz, welche die Gemeinden ab 2004 verpflichtete, einen Hebesatz von mindestens 200 Prozent zu erheben. Die Nordfriesen knickten ein und beschlossen, sich an das neue Gesetz zu halten.

Eine andere innerdeutsche Steueroase dagegen wehrt sich weiterhin standhaft gegen den Zwang, Gewerbesteuer zu erheben: die brandenburgische Gemeinde Freudenberg, 40 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegen. Freudenberg verlangte ebenfalls null Prozent Gewerbesteuer. Bürgermeister Willi Huwe sagte, dies sei der letzte Versuch, das Gewerbegebiet und die Region in Schwung zu bringen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Jetzt hat die Gemeinde Freudenberg Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe erhoben. Ihre Begründung: Die "Lex Norderfriedrichskoog" verstoße gegen Artikel 28 des Grundgesetzes, der die Souveränität der Gemeinden verbriefe.

Ich bin gespannt, wie die Verfassungsrichter entscheiden und würde mich freuen, wenn die Freudenberger Recht bekämen. Denn die Freiheit der Gemeinden, Gewerbesteuer zu erheben, wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Steuerwettbewerb. In der Schweiz klappt dies seit Jahrzehnten tadellos. Dort können die Kantone nach Gutdünken die Steuerhöhe selbst festlegen.

Steuer-Tipp: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHT) bietet eine Übersicht über die aktuellen Hebesätze deutscher Städte über 50.000 Einwohner.

Ich wünsche Ihnen ein sonnig-herbstliches Wochenende und eine erfolgreiche neue Woche. Herzlichst, Ihr

Unterschrift Lutz Schumann

Lutz Schumann
Chefredakteur

P. S.: Als treuer Leser des Steuer-Schutzbriefs haben Sie vielleicht in der vergangenen Woche die gewohnte Ausgabe des E-Mail-Newsletters vermisst. Die Redaktion hat die nordrhein-westfälischen Herbstferien für ein wenig Urlaub vom harten Steuer-Alltag genutzt.

Dabei habe ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden: Flucht vor dem schlechten deutschen Wetter und Vor-Ort-Recherche für den Steuer-Schutzbrief. Auf welche steuerlichen Besonderheiten ich auf der Kanareninsel Lanzarote stieß, verrate ich demnächst auf der Internetseite des Steuer-Schutzbriefs.

So viel sei vorab verraten: Die 7 Kanareninsel, zu denen Lanzarote gehört, sind eine wahre Steueroase. Die Kanarische Sonderzone (Zona Especial Canaria, kurz: ZEC) bietet Unternehmensgründern wahrhaft paradiesische Zustände:

  • 1 bis 5 Prozent Körperschaftsteuer,
  • keine Besteuerung von Kapitalübertragungen,
  • Befreiung von der sowieso geringeren kanarischen Umsatzsteuer (IGIC = 4,5 Prozent gegenüber 16 Prozent USt in Spanien) und
  • Vergünstigungen bei den Gemeindesteuern.

Der Clou: Da sich die ZEC-Firmen in Spanien befinden, gelten für sie die spanischen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) sowie die Mutter-Tochter-Richtlinie der Europäischen Union.