Der Halbteilungsgrundsatz muss ins Grundgesetz!
Liebe Leserin, lieber Leser,
schade, es wäre auch zu schön gewesen! Doch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in der letzten Woche den so genannten "Halbteilungsgrundsatz" gekippt, wonach Erträge höchstens zur Hälfte besteuert werden dürfen.
Den "Halbteilungsgrundsatz" hatte der damalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof 1995 im Zusammenhang mit der Vermögensteuer aufgestellt. Die amtierenden Verfassungsrichter stellten in ihrem aktuellen Urteil klar, dass dieser Grundsatz nicht für die Ertragsteuerarten Einkommensteuer und Gewerbesteuer gelte. Das höchste deutsche Gericht wies damit die Klage eines Unternehmers zurück, dessen Belastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer insgesamt 60 Prozent betragen hatte.
Die Karlsruher Richter begrenzen den Spielraum des Gesetzgebers nur durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – einen eher schwammigen Begriff. Ein exakter Steuersatz lasse sich daraus nicht ableiten. Auch die Bemessungsgrundlage der Steuer sei zu berücksichtigen. Hohe Einkommen dürften auch hoch besteuert werden, solange der wirtschaftliche Erfolg "nicht grundlegend beeinträchtigt wird". Weder im Streitfall von 1994 noch zur Zeit des Urteils sei die Belastung durch Einkommen- und Gewerbesteuer unzumutbar, sagten die Verfassungsrichter (Aktenzeichen: 2 BvR 2194/99).
Unseren Politikern ist diese Klarstellung nur recht. Otto Bernhardt, Steuerfachmann der Union, "verspricht" denn auch, dass mit gesetzlichen Konsequenzen nicht zu rechnen sei. Und sein SDP-Kollege Joachim Poß freut sich, dass höhere Einkommen auch höher besteuert werden dürfen.
Eine amerikanische Kollegin wollte unsere real existierenden steuerlichen Verhältnisse dagegen gleich als "Sozialismus" gebrandmarkt sehen. Verständlich, wenn man bedenkt, dass im amerikanischen Steuerrecht die 50-Prozent-Grenze als "psychological breaking point" bekannt ist, die psychologische Belastungsgrenze. Auch ich befürchte, dass diese BVerfG-Entscheidung dem (sozialistischen) Umverteilungsgedanken unserer Politiker Tür und Tor öffnet.
Eine steuerliche Mindestfairness herbeizuführen, gebieten Logik und selbst das Einnahmeinteresse des Staats. Denn er lebt mit seinen wirtschaftenden Bürgern in einer Ertragsgemeinschaft. An ihrer Blüte müssten beide interessiert sein. Eine Politik, die mit Einkommen und Eigentum schonend verfährt, hat sich stets als das überlegene Gesellschaftsmodell erwiesen. Doch derzeit ist die Symbiose zwischen Fiskus und Steuerbürger gestört. So siegt die Schlauheit über die Klugheit, die Cleverness über die Ehrlichkeit.
Dieser offene Dissens benötigt dringend Klärung – am besten durch eine Grundgesetzergänzung. Unsere Politiker tun gut daran, beherzt die Grenzen einer fairen Einkommensteilung zwischen Bürger und Staat aufzuzeigen. Sonst könnte es ihnen passieren, dass besonders leistungsfähige Bürger Deutschland für immer den Rücken kehren und sich dort niederlassen, wo sie eine bessere und fairerer Ausgangsbasis vorfinden.
Ich wünsche uns, dass diese Fairness bald wieder in den deutschen Steuergesetzen zu finden ist.
Herzlichst, Ihr
Lutz Schumann
Chefredakteur